In
den "Vereinigten Hüttenwerken" treffen sich in den 1950er und 60er
Jahren Nachtschwärmer mit amerikanischen GIs. Auf der Amüsiermeile
zwischen Eberhard- und Hauptstätter Straße - heute steht hier das
Schwabenzentrum - tobt bis Ende der 1970er Jahre das Stuttgarter
Nachtleben.
Vielen
Stuttgarten ist der "Sündenpfuhl" ein Dorn im Auge, ständig kommt es zu
Raufereien unter den betrunkenen Feiernden oder Taschendiebe ziehen den
Nachtschwärmern das Geld aus der Tasche.
"Tivoli", "Bolero" oder "Colibri" heißen die Bars in den nach dem Krieg nur notdürftig zusammengefügten Baracken, ....
Oberbürgermeister Arnulf Klett nennt das Barackenstädtle "Vereinigte Hüttenwerke" - ein Name, der hängenbleibt.
|
Stuttgart - Vereinigte Hüttenwerke, Schwabenzentrum (1950er und 60er) |
|
"Tivoli", "Bolero" oder "Colibri" heißen die Bars in den nach dem Krieg nur notdürftig zusammengefügten Baracken. Die Vereinigten Hüttenwerke (heute Schwabenzentrum) mit Blick auf die Leonhardskirche (1978). |
|
|
1978_Hauptstätterstraße_02 - Hinterhof an der Hauptstätterstraße
|
|
..
in denen in unmittelbarer Nachbarschaft zum ehrwürdigen Kaufhaus
Breuninger die Jugend die Hüften schwingt und die Nutten nach Freiern
Ausschau halten. Nesenbachstraße, Ecke Marktstraße, heute überbaut.
1978_Nesenbachstr.
|
|
1978_Nesenbachstraße_04 - Nesenbachstraße
|
| |
|
1978_Färberstraße_01 - Färberstraße, heute Treppenaufgang der Haltestelle Rathaus
|
|
Stuttgart - Vereinigte Hüttenwerke, Schwabenzentrum, Tagblattturm (1976) |
|
Stuttgart - Vereinigte Hüttenwerke, Schwabenzentrum (1976) |
Wer auf den alten Fotos die bunten Bretterbuden sieht, könnte sie für
die Kulissen eines amerikanischen Roadmovies halten. Doch mitten in
Stuttgart entstanden kuriose Baracken mit Rotstich und Rock’n’Roll. Nach
dem Zweiten Weltkrieg war die Stadt ein Trümmerfeld, eine Ansammlung an
Behelfsläden und Behelfswohnungen – und auch die Luden und
Altstadtwirte wussten, wie man sich behilft. Ihre provisorischen Bauten,
in der Ruinenwüsten bei der Leonhardskirche schnell und unkompliziert
wie bei einer Kirmes hochgezogen, gingen als Vereinigte Hüttenwerke ein –
der damalige Oberbürgermeister Arnulf Klett hatte diesen Begriff
geprägt.
Allenthalben drängten die Rathausbeamten auf städtebauliche Ordnung.
Nur das Treiben in der Amüsierstraße hielt lange allen Stürmen stand.
Wer glaubt, hier habe der Mechanismus der schwäbischen Kehrwoche
versagt, dürfte sich täuschen. Eine besondere Reinlichkeit wird den
einstigen Betreibern der zwar ärmlichen, aber doch fantasiereichen
Nachtstationen nachgesagt. Wo sich heute das Schwabenzentrum als
ungeliebter Klotz viel zu nüchtern und langweilig ausbreitet, erblühte
bis zum Abriss der Verschläge in den 1970ern neben Strip und Nepp auch
die Subkultur, wie man sie schon damals nannte. Rotlicht und
Rock’n’Roll.
Auf der Luftaufnahme, die Gerhard Goller, der langjährige Leiter der
Gaststättenbehörde, in den 1970ern gemacht hat, sieht man die
vergleichsweise niedrigen Bauten entlang der Hauptstätter Straße – so
manche Eltern sorgten dafür, dass ihre Kinder etwa auf dem Weg zum
Kaufhaus Breuninger niemals durch diese Rotlicht-Straßen mit leicht
bekleideten Damen im Schaukasten kamen. Auf dem Breuninger-Dach sonnten
sich die Schwimmer. Hier befand sich das Mineralbad – Stuttgarts erster
Skybeach.
Kann Stuttgart so verrucht sein? Die Stadt der besungenen
Häuslebauer und des Schwabenfleißes hatte ihre andere, vielleicht nicht
so stabile Kehrseite. Noch heute erzählt man sich von dem armen Zecher,
der sich zur späten Stunde an die Außenwand einer vom roten Licht
beschienenen Pariser Bar lehnte. Dort übermannte ihn die Müdigkeit. In
dieser Nacht soll es heftig geregnet haben. Die Wand der Baracke sei
irgendwann so aufgeweicht gewesen, dass sie plötzlich nachgab – und der
schlafende Zecher rücklings in die Bar hineinplumpste. So schnell kam
man also in die Hüttenwerke mit dem Kopf durch die Wand.
Die Namen an den Eingängen standen für die große Welt. Manhattan Bar
oder Casino de Paris hießen die Amüsierlokale der ersten Stunde, in
denen man mit Dollars bezahlen konnte, mit der Währung der Träume.
Brechend voll waren die Bars, wenn es freitags Lohntüten gab. Die
Damen hatten Durst. Die Großzügigkeit dank guter Laune kam mitunter
teurer als erwartet. Im Aushang standen Preise fürs Glas – die Flasche
aber kostete ein Vermögen. Weil der Betrogene den häuslichen Frieden
nicht gefährden wollte, verzichtete er meist auf den Prozess und zahlte.
Die Sittenwächter hatten viel zu tun, weil sich kaum einer an die
strengen Auflagen hielt. In dem vom Varieté-Verband 1961 beschlossenen
„Richtlinien für Tänzerinnen“ hieß es: „Das Publikum darf nicht zum
Öffnen der Reißverschlüsse aufgefordert werden.“ Außerdem seien „laszive
Gebärden zu unterlassen, die nur sinnliche Aufreizung bezwecken“. Die
Rathauswächter schwärmten aus und entdeckten 1964 in der Bar Fledermaus
eine Tänzerin, die mit sich und einer roten Wurst spielte – die
ertappte Wurstliebhaberin durfte in dem Lokal nicht mal mehr als
Bedienung arbeiten.
Man erzählt sich, dass die findigen Chefs der Nachtclubs der
Vereinigten Hüttenwerke den damaligen Leiter der Ordnungsamtes diskret
auf dessen dunkle Vergangenheit als SS-Mann in besetzten Gebieten
hingewiesen hatten. So klappte es problemlos mit der Sperrzeitverkürzung
.
|
Luftbild Vereinigte Hüttenwerke Stuttgart |